• Schrift vergrößern
  • Schrift vergrößern
  • Standard wiederherstellen
  • Schrift verkleinern
  • Schrift verkleinern

Bürgerversicherung

Bürgerversicherung? Fahrlässiger kann Sozialpolitik nicht sein
„Die Welt" vom 28.11.2017

Die SPD hat gute Chancen, ihren Wunsch nach Abschaffung der privaten Krankenversicherung in einer großen Koalition durchzusetzen. Die Folgen für Ärzte und Patienten wären verheerend.
Die SPD will die Trophäe. Die Einführung einer Bürgerversicherung im Gesundheitswesen soll der eigenen Basis und den Wählern demonstrieren, dass man auch als 20-Prozent-Partei in einer großen Koalition Weichenstellungen erzwingen kann, die bislang nur in einem rot-rot-grünen Bündnis realistisch schienen. Der Aufschrei der Ärzteschaft zeigt, wie wenig die Mediziner der Standfestigkeit der Union in dieser Frage vertrauen.
Bislang hatte die Bundeskanzlerin ein solches Einheitssystem zwar stets abgelehnt. Doch die CDU-Chefin könnte dieses Mal dem Drängen der Sozialdemokraten nachgeben. Zumal CSU-Chef Horst Seehofer seit Langem ein bekennender Anhänger der Bürgerversicherung ist.
Somit droht sich in der Gesundheitspolitik das zu wiederholen, was in der vergangenen Legislaturperiode schon in der Rentenpolitik passiert ist: Statt einen wichtigen Pfeiler im Sozialsystem zukunftsfester zu machen, vergrößert man sehenden Auges die Probleme nachhaltig.
Denn eine Bürgerversicherung, in der auch Selbstständige, Beamte und alle Gutverdiener zwangsweise Mitglieder werden, würde die in Zeiten des demografischen Wandels ohnehin gravierenden Finanzierungsprobleme im Gesundheitswesen zusätzlich verschärfen. Fahrlässiger kann Sozialpolitik nicht sein.
Nicht Rosinenpickerei, sondern Quersubventionierung
Es hat historische Gründe, dass Deutschland ein duales System aus gesetzlichen Krankenkassen auf der einen Seite und der privaten Krankenversicherung auf der anderen hat. Das Nebeneinander ist sicher nicht ideal, aber es funktioniert allemal besser als rein staatliche Einheitssysteme in anderen Ländern.
Der SPD geht es hingegen erklärtermaßen in erster Linie um Gerechtigkeit. Doch ihr Vorwurf einer Zwei-Klassen-Gesellschaft übersieht die vielfältige Wechselbeziehung zwischen den beiden Bereichen. Kassenpatienten mögen mitunter länger auf einen Arzttermin warten als Privatversicherte, aber sie erhalten sämtliche Leistungen, die medizinisch notwendig sind. Und darauf kommt es letztlich an.
Auch zieht das Argument der SPD nicht, dass nur die gesetzlich Versicherten das Solidarsystem finanzierten, während die PKV Rosinenpickerei betreibe, weil sie sich ihre Kunden auswählen kann. Denn die Kritiker übersehen die milliardenschwere Quersubventionierung zwischen den beiden Bereichen: Während nur elf Prozent der Bevölkerung privat versichert sind, finanzieren sie fast ein Viertel der Praxisumsätze. Auch die Arzneimittelhersteller, Physiotherapeuten, Kliniken und anderen Leistungserbringer könnten allein mit Kassenpatienten nicht über die Runden kommen.
Überall gelten für die Privatversicherten höhere Preise. Somit subventioniert diese Klientel indirekt die günstigeren Bedingungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Einen weiteren Ausgleichsbeitrag leistet zudem der Staat mit dem Bundeszuschuss zur gesetzlichen Krankenversicherung, an dessen Finanzierung aus Steuermitteln die Privatversicherten beteiligt sind.
Die allergrößte Ungerechtigkeit liegt aus Sicht der Befürworter einer Bürgerversicherung in den niedrigen Prämien, die Gutverdiener in der privaten Krankenversicherung zahlen. Tatsächlich sparen gut verdienende Arbeitnehmer, falls sie jung und gesund sind, wenn sie ins Privatsystem wechseln. Doch die Rechnung sieht ganz anders aus, wenn man Prämien und Beiträge im gesamten Lebensverlauf betrachtet. Denn im Alter steigen die Belastungen für die Privatversicherten dramatisch, während sie für die anderen Rentner im Regelfall kräftig sinken. Eine wirkliche Ersparnis bringt der Abschied aus dem Solidarsystem deshalb den wenigsten.
Für AOK, Barmer & Co. wäre das Wirtschaften ohne die private Konkurrenz natürlich angenehm. Kommen heute neue Therapien oder innovative Arzneimittel auf den Markt und werden von den Behörden zugelassen, dann sind Privatpatienten oftmals die Ersten, die davon profitieren. Doch was sich bewährt, findet in der Regel rasch auch Eingang in den Leistungskatalog der Krankenkassen. In einer Bürgerversicherung gäbe es diesen Konkurrenzdruck durch die Privaten nicht länger. Und dann wären wohl auch bald die Regelungen in der gesetzlichen Krankenversicherung vor allem vom Gedanken der Kostendämpfung gepräg
Großbritannien ist ein abschreckendes Beispiel für ein staatliches Einheitssystem. Versorgungsengpässe und lange Wartelisten prägen seit Jahrzehnten das Gesundheitswesen auf der Insel. Und nur die sehr gut Betuchten können es sich leisten, aus eigener Tasche private Zusatzleistungen zu bezahlen. Das ist dann tatsächlich eine Zwei-Klassen-Medizin.
Vor dem Hintergrund der rasanten Alterung der deutschen Bevölkerung sollte die CDU die Bürgerversicherung noch aus einem anderen Grund weiterhin strikt ablehnen. Denn für die gesetzliche Krankenversicherung gilt ebenso wie für Pflege und Rente, dass die Alten von den Jungen alimentiert werden müssen. Während die Politik die Alterssicherung mit den Reformen schon vor einigen Jahren auf den demografischen Wandel ausgerichtet hat, ist bislang im Gesundheitswesen noch gar nichts passiert.
Wenn in den nächsten Jahren die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestandgehen, sinken die Beitragseinnahmen, während die Ausgaben stetig steigen. Die PKV ist weit weniger demografieabhängig, weil sie Kapitalreserven bildet. Jede Generation spart in diesem System in jungen Jahren für die Ausgaben im Alter. Dass die Sozialdemokraten ausgerechnet an die Säule der Krankenversicherung die Axt anlegen wollen, die für die schwierigen vor uns liegenden Jahrzehnte relativ gut gerüstet ist, zeigt die fatale Kurzsichtigkeit dieser Sozialpolitik.
Wir brauchen im gesamten Sozialsystem dringend mehr und nicht weniger Kapitaldeckung. Ansonsten werden die Jungen in wenigen Jahren dramatisch steigende Beitragslasten zu schultern haben. Die SPD verspricht, das Problem mit höheren Steuerzuschüssen zu lösen. Doch diese Methode ist eine Scheinlösung. Denn die Finanziers bleiben überwiegend die Gleichen. Ein Einheitssystem mit wachsender Abhängigkeit von staatlichen Geldzuweisungen führt am Ende unweigerlich zu einer Gesundheitspolitik nach Kassenlage.
Das deutsche Krankenversicherungssystem braucht keine derartige Radikalreform, wie sie das linke Lager anstrebt. Die künftige Regierung sollte vielmehr Korrekturen innerhalb der beiden Systeme vornehmen, um die großen Effizienzreserven zu heben. Ein solches Projekt ist anspruchsvoll genug
© CDU Stadtverband Altlandsberg 2023